Jörn Mössler, geb. 1940 auf Java, Indonesien

In Bogor brachte meine Mutter Zwillinge zur Welt: meine Schwester Barbara und mich. Meine Eltern lebten zu der Zeit seit vielen Jahren auf Java. Zur Zeit meiner Geburt war mein Vater Inspektor* einer deutschen Pflanzung von 700 ha, es ging uns wirtschaftlich sehr gut, wir hatten ein schönes Haus, Auto, Kinderfrau, Köchin, Gärtner.

Der Zweite Weltkrieg bedeutete den ersten Bruch in meinem jungen Leben; ich verlor für lange Zeit meinen Vater und mein Zuhause. Die Niederländer hatten meinen Vater 1940 als Deutsche des Landes verwiesen und wie viele andere deutsche Männer schließlich ins Internierungslager Dehradun, Britisch-Indien, verbracht. Dort lebten wir eine Zeitlang in Hotels. In diesem Jahr 1940 geschah es auch, dass meine Zwillingsschwester Barbara an Malaria erkrankte und daran verstarb. Ihr Tod, ihr Fehlen ist mir mein ganzes Leben lang gegenwärtig gewesen.

Im Pazifik-Krieg waren U-Boote entscheidende Seekriegsmittel; aus Angst vor diesen U-Boot - Angriffen gab es für meine Mutter, meinen Bruder und mich  keine Möglichkeit, nach Deutschland gebracht zu werden. So kamen wir Ende 1941 nach Tsingtau, der Hafenstadt am Gelben Meer im Osten Chinas.

Tsingtau war zu der Zeit von den Japanern und Deutschen militärisch besetzt. Uns Kindern ging es gut dort: Wir lebten in einem Haus, konnten jederzeit rausgehen zum Gelben Meer, wo die Fischer uns mit hinaus aufs Wasser nahmen.

1946 - Das für uns Kinder sorglose, unbeschwerte Leben in Tsingtau endete, ein Truppentransporter sollte uns nach Deutschland bringen, in die Heimat unserer Eltern. Die Fahrt führte uns über Shanghai, Port Said, durch den Suez-Kanal.

Mein Vater war sehr froh, als ich mit gut 14 Jahren die Schule mit einem doch ganz passablen Ergebnis abgeschlossen hatte. Er meinte, ich sei nicht so richtig integrierbar in seine Vorstellungswelt und ob ich denn nicht zur See fahren wollte. Etliche Bücher über Schiffe und Seefahrt hatten geholfen, mich zu überzeugen. So stimmte ich schweren Herzens, weil  ohne Alternative dazu, dem Vorschlag zu. Den Kontakt zu meinem ersten Arbeitgeber, der Nordstern-Reederei in Bremerhaven, hatte mein Vater durch den Sohn eines Schulfreundes hergestellt. Ich wurde ausstaffiert mit allem, was ein Seemann brauchte: Seesack und darin genügend Warmes zum Anziehen. Meine Eltern und mein jüngerer Bruder Adam (geb. 1949) brachten mich spätabends zum Bahnhof. Ich weiß noch genau, wie bang mir ums Herz war, ich war so traurig, dass ich Abschied nehmen sollte von meinen Eltern und Geschwistern. Doch meinem Vater zuliebe wollte ich weder Angst noch Feigheit zeigen, denn ich wusste, wie schwierig die materielle Situation für ihn war. Es war ihm ein Anliegen, mich versorgt zu wissen und gleichzeitig einen Esser weniger zu haben.

Der Zug fuhr die Nacht durch, und gegen morgen war ich in Bremerhaven. Mit der Straßenbahn ging es weiter zum Fischereihafen zur Nordstern Reederei. Mein erstes Schiff war ein Fischdampfer. „Meine Güte, was ist das klein“, war mein Gedanke, als ich die „Sonne“ am Kai liegen sah. Ich hatte keine Ahnung von der Fischerei, deshalb wurde ich als Kochjunge dem Koch zugeteilt. Jeden Tag musste ich eineinhalb Eimer Kartoffeln mit einem Küchenmesser so dünn schälen, dass der Vorrat für unsere ganze Fahrtdauer von 23 Tagen ausreichen würde. Die Kombüse, die sehr klein war, lag direkt neben dem Maschinenaufgang. Ich rieche heute noch, wie sich Dampf und Öl mit den Bratendüften aus der Kombüse mischten. Die ersten beiden Seereisen habe ich immerzu seekrank über der Bordwand gehangen, ein Umstand, der die anderen Matrosen  amüsierte und über mich lästern ließ. Nach der zweiten Fahrt war das Thema für mich zum Glück überwunden. Die Fahrten gingen nach Island, Grönland und die norwegische Küste entlang. Als Decksjunge dann lernte ich die Rauheit der Arbeit an Deck kennen: Die gefangenen Fische (Seelachs, Rotbarsch, Kabeljau) mussten von den Innereien gesäubert werden, bevor der Steuermann sie auf Eis legte. Wenn wir mit einem Fang zu säubern fertig waren, durften wir uns schlafen legen, bis der nächste Fang verarbeitet werden musste. Es wurde Tag und Nacht gefischt, in dieser Zeit gab es kein Waschen, kein Rasieren, ja es ist sogar geschehen, dass ich mit dem zu säubernden Fisch in der Hand eingeschlafen bin.

Insgesamt habe ich drei Jahre auf einem Fischdampfer gearbeitet und es ohne Ausbildung bis zum Leichtmatrosen gebracht. Für mich waren diese Fahrten ein einziges Abenteuer, keine Berufswahl. Ich hatte kein Interesse, irgendwelche Schulungen zu machen. Die See hat mich ungeheuer beeindruckt. Jedes Mal, wenn es wieder losging, die Fahrt raus aus Bremerhaven auf die Weser und dann aufs Meer, es fühlte sich an, als ob ein dicker Eisenreifen von meiner Brust genommen worden wäre; ein ungeheuer befreiendes Gefühl! Während der Ruhezeiten an Land konnte ich im Seemannsheim unterkommen. Der Seemannsheim-Vater, ein Missionar, hatte mir öfter mit einer warmen Mahlzeit ausgeholfen, auch konnte ich dort immer Quartier nehmen, wenn ich wieder mal kein Geld hatte.

Nach drei Jahren Arbeit auf einem Fischdampfer bin ich zur Küstenfahrt gegangen und habe auf dem Kümo* „Stadtland“ angeheuert.  1958 habe ich in Hamburg abgemustert. Ich bin sehr stolz mit meinem ganzen Verdienst, das waren 1200 Mark, mit dem Zug nach Hause zu meinen Eltern gefahren. Während der Zugfahrt musste ich immer wieder nachfühlen, ob das Geld auch noch da war. Nach ein paar Monaten - mein Geld war aufgebraucht - bin ich wieder nach Bremerhaven gefahren und habe auf einem Tramper, der „MV Adelina“, angeheuert, einem 5000 t Frachter mit Heimathafen Genua. Die Trampschifffahrt, auch Bedarfsschifffahrt genannt, fährt ohne feste Routen oder Fahrplan dorthin, wo es Ladung gibt, und liefert diese überallhin ab. Während der fünf – sechs Monate dauernden Fahrt befuhren wir die Südwestküste Spaniens. Dort war es zu der Zeit unsicher, das Risiko, bestohlen zu werden, war groß. Ich hatte Nachtwache während einer schönen, warmen Nacht und geriet ins Träumen... Auf einmal stand der Kapitän vor mir und empfahl mir, doch lieber auf den Mast zu klettern, um Wache zu halten. Dort oben würde ich wohl kaum ins Träumen kommen, weil ich ja aufpassen musste, nicht herunterzufallen. Er sollte recht behalten.

Während der Zeit auf dem Tramper habe ich viele Länder gesehen und viele Abenteuer erlebt. Eines ist mir besonders in Erinnerung: Wir lagen in einem arabischen Hafen, und ich hatte den Auftrag, ein paar Säcke von Land an Bord zu holen. Dabei wurde ich beobachtet und wohl für einen Dieb gehalten, dem man als übliche Bestrafung die Hand abhacken wollte. Doch mein Kapitän hieß mich, schnell an Bord zu kommen, mich unter Deck zu verstecken und mich dort nicht zu rühren. Puh, noch einmal davongekommen, gut ausgegangen! Unser Koch an Bord war Österreicher, ich hatte mich mit ihm sehr gut verstanden. Einmal hatten wir beide einen Karton mit 200 Eiern gekauft. Doch genau an dem Tag fiel die Kühlung an Bord aus; die Fantasie unseres Kochs war stark gefordert, sich alle möglichen Eierspeisen auszudenken, damit die Eier so schnell wie möglich verbraucht würden.