"Es kommt mir vor, als würde ich jetzt mein siebtes Leben leben!"

Jutta Montag-Assamoi, geboren 1938 in Danzig, blickt auf einen Lebensweg zurück, der sie am Ende des zweiten Weltkriegs existentiell bedrohliche Erfahrungen machen ließ, die sie für ihr Leben prägten.

In russischen Gefangenenlagern hungerte sie, erlebte unfassbare Grausamkeiten und verlor ihre Mutter an den Tod. Ganz auf sich gestellt überlebte sie die Lagerzeit und gelangte schließlich mit einem Transport per Viehwaggons zurück in das zerbombte Deutschland.

Jutta Montag

Jutta Montag erinnert sich an ihre Verschleppung nach Russland: „Bald wurden wir in Viehwaggons getrieben und der lange Treck nach Russland begann. Wir fuhren bei immer kälterem Wetter ohne Essen und Trinken. Stoppte der Zug, stürmten die Menschen die vereisten Felder und Wiesen und versuchten mit bloßen Händen etwas Essbares zu finden. Eines Tages nahmen die Russen den Erwachsenen alle Kinder weg. Ich durfte als einziges Kind bei meiner Mutti bleiben, weil Mutti Mundharmonika spielte. Das mochten die Russen. Wenn sie für sie spielte, johlten und sangen die Russen. Von da an sah ich nie wieder andere Kinder und verstand alles nicht mehr.

Im Alter von etwa drei Jahren

In unserem Waggon stand ein kleiner Rohr-Ofen, in dem wir Kartoffeln von den Feldern garten. In Blechdosen schmolzen wir Schnee, um etwas trinken zu können. Schlafen mussten wir auf dem nackten Boden. Hinten im Gerümpel lagen schreiende und stöhnende Menschen. Dann war es plötzlich wieder ruhig, nur ein Wimmern war zu hören. (…)

Irgendwann kamen wir in ein anderes Lager, das schrecklich war. Es war wieder sehr kalt und wir froren und hungerten bei lauwarmer Graupensuppe und trockenem Brot. Einmal sah ich vom Stacheldrahtzaun aus, wie Männer mit Äxten und Stangen auf ein sich aufbäumendes Pferd einschlugen, um uns – wie ich später hörte – Fleisch zu besorgen. Ich verstand die Welt nicht mehr – konnte gar nichts fühlen. Oft wusste ich nicht, wo meine Mutti war und hatte furchtbare Angst.“ (…)

Gerettete Familienbilder

Irgendwie ist es Jutta Montag gelungen, ihr Album mit den Familienbildern zu retten, das oft ihr einziger Halt war und sie noch heute begleitet.

Zu ihrer Zeit im Kinderheim „Clara Zetkin“ in Frankfurt/Oder sagt Jutta Montag:

„Im Kinderheim trieb ich dann einen wahren Kult mit meinen geretteten Familienbildern. Ich breitete die Fotos immer wieder auf meinem Bettchen aus und weinte viel. Auf ärztliche Anordnung hin durfte mir niemand die Fotos wegnehmen, da es alles war, was mir geblieben war. Ich habe die Fotos noch heute. Sie hängen immer an der Wand in meiner Küche.“ (…)

Mit erstaunlicher Resilienz ließ sie ihr Trauma hinter sich und lebt seitdem ein reiches und buntes Leben voller Lebensfreude und Optimismus. So war sie z. B. Galeristin an der Moorweide und heiratete in zweiter Ehe einen jungen Mann von der Elfenbeinküste. Ende der 1980er Jahre ließ sich die Autorin Ronnith Neuman von Jutta Montags Kindheitserlebnissen inspirieren und schuf daraus die fiktive Erzählung „Nirs Stadt“, die 1991 im Fischer Verlag erschienen ist.