In unserem neuen Buch beginnt mit diesem Zitat von Maxim Gorki die Geschichte von Frau Schwanebeck. Ihr Geburtsjahr ist 1925.
Frau Schwanebeck war nahezu sechzig Jahre berufstätig, davon fast fünfundvierzig im Alsterhaus.
Ich habe einige Ausschnitte aus ihrem Arbeitsleben ausgewählt und zitiere nachfolgend aus dem Buch:
Nach Beendigung der Schule habe ich in der Konditorei der Familie Kramer am Wiesendamm Ecke Hufnerstraße gelernt. Mein Großvater gab mir den guten Rat, in die Lebensmittelbranche zu gehen: „Da brauchst du nie zu hungern.“ Wie Recht er doch hatte, gerade in der nachfolgenden Zeit.
Nach der Lehre wurde ich dann durch das Arbeitsamt ins Milchgeschäft am Schulterblatt vermittelt. Damals konnten Lebensmittel ausschließlich mit Marken* bezahlt werden, die haben wir geschnippelt und geklebt.
Im Milchgeschäft habe ich bis 1952 gearbeitet. Dann habe ich zu mir gesagt: „Jetzt hast du keine Lust mehr, immer schrubben, scheuern, alles muss blank sein, die schönen Kacheln, nun ist es genug.“
Daraufhin bin ich zum Alsterhaus gegangen. „Ich möchte hier arbeiten!“, habe ich gesagt. Schon kam die Frage: „Haben Sie denn überhaupt Erfahrung?“ Na, die konnte ich vorweisen, Lehre beim Konditor, sieben Jahre Milchgeschäft. Das begeisterte den Chef. „Wann können Sie anfangen? Sie können sofort beginnen.“ Klar, es war Mitte November und das Weihnachtsgeschäft lief gerade an. Nun musste ich doch bremsen: „Ich muss erst noch kündigen, das geht nicht, dass ich einfach so aufhöre.“ Das wussten die Vorgesetzten vom Alsterhaus zu schätzen, dass sie eine so zuverlässige und pflichtbewusste Verkäuferin bekommen würden. Mitte Februar 1952 habe ich dann im Alsterhaus angefangen.
Ins Alsterhaus kamen regelmäßig zwei Schauspieler aus Berlin. Sie kamen mit der Rolltreppe hoch, weil sie im Fahrstuhl immer erkannt und angesprochen wurden. Ich sah sie und wusste schon, was sie kaufen wollten, das merkt man sich.
Ich habe bei den Ständen Bescheid gesagt: „Wurst, Käse, die Herren aus Berlin sind wieder da und stehen an der Bierbar.“ Der eine nahm immer eine ganze Mettwurst mit von Hamburg nach Berlin, die wurde hübsch eingepackt mit einem schönen Band drum herum. Wenn die Ware verstaut war, sagte ich den Herren Bescheid, aber sie meinten, sie hätten noch Zeit bis zum Ladenschluss, deshalb blieben sie noch ein wenig an der Bierbar.
Auch meine „Reifeprüfung“ bekam ich im Alsterhaus, gewissermaßen ein Abitur ehrenhalber. Und das kam so: Es besuchte uns so ein netter Kunde, mit Hut und Schlips und Kragen, der guckte schon von weitem, denn ich bediente beim Fisch. Da war ich so gut wie nie, nur wenn es sehr voll war. Deshalb meinte der Kunde dann wohl: „Na Mädchen, machst du heute dein Abitur?“ Ich freute mich: „So kann man das auch nennen !“ Rumgesprochen hat sich diese Szene bis zum Chef. „Na Abiturientin“, grüßte er mich beim nächsten Mal, darüber haben wir dann beide herzhaft gelacht.
Ich habe ja bis zum 74. Lebensjahr gearbeitet. Ich hatte einfach keine Lust aufzuhören. Es war wirklich sehr schön.