Herta Vater wird 1931 in Langenwaldau, einem Dorf in Niederschlesien, geboren. Sie wächst in einer ländlichen Idylle auf.
Am Heiligen Abend 1944 wird Herta 13 Jahre alt. Der Krieg dauert nun schon mehr als fünf Jahre.
Im Januar 1945 rückt die Front näher. An der Oder, die etwa 100 km von Langenwaldau entfernt ist, kämpfen Russen gegen Deutsche . Breslau, die Hauptstadt Schlesiens, ist zur Festung erklärt worden.
Dann kommt der Räumungsbefehl. Etwa die Hälfte der Menschen verlassen das Dorf, auch der Bürgermeister sowie der Ortsbauernführer, ein Mann mit wichtigen Aufgaben im Dorf. Doch Hertas Mutter zögert den Aufbruch hinaus. Der Vater ist nun schon so lange im Krieg, inzwischen in Südfrankreich. Warum hat er nicht mehr geschrieben? Was ist bloß los? Deutlich spüren die Kinder die Sorgen und Verzweiflung der Mutter. Wenigstens hofft sie auf ein Lebenszeichen von ihm. Insgeheim hofft sie wohl auch, er möge noch rechtzeitig zurückkehren, so dass die Familie nicht ohne seine Unterstützung auf die Flucht gehen muss.
8. Februar, 4 Uhr morgens. Kanonendonner weckt die Familie. Jetzt treibt sie die Angst.
Hertas Mutter, deren Schwester und eine Nachbarin mit insgesamt neun Kindern bilden jetzt eine Gemeinschaft. Die Väter sind nicht dabei, als die drei Frauen mit ihren Kindern aufbrechen. Der einzige Mann ist der Fremdarbeiter vom Bauernhof der Tante.
Sie können einen Planwagen und einen Kutschwagen sowie zwei kräftige Pferde, Max und Hans, vom großen Hof der Tante für die Flucht nutzen. Gepäck, Nahrung, Kleidung, auch Federbetten und Kopfkissen sind gut verstaut in dem Planwagen.
Die Tante sitzt mit ihren beiden jüngsten Kindern, ein und vier Jahre alt, im Kutschwagen, der an den Planwagen angehängt ist.
Alle anderen gehen zu Fuß, auch der jüngste Bruder von Herta mit seinen sechs Jahren. Von morgens bis abends laufen sie durch die eisige Kälte hinter dem Pferdewagen her.
Die Mutter bemüht sich täglich um das Quartier für die Gruppe, wobei die Unterbringung von Max und Hans im Stall immer Vorrang hat. Auch die Menschen schlafen ausschließlich in Ställen von Gutshöfen, oft auf den Futtertischen. In den Wohnhäusern ist kein Platz, der Treck wird täglich länger und länger.
Im Sudetenland müssen sie stoppen. Zwangsläufig, denn Max und Hans sind krank. Ihre Drüsen sind vereitert. Ein Pferd stirbt, sie können also nicht weiter.
Drei Wochen sind sie bis hierher gelaufen. Hat Herta in dieser Zeit geweint, weil sie Hunger hatte, weil sie gefroren hat, weil sie nicht mehr weiter konnte?
Frau Vater schüttelt den Kopf. Nein, keiner von ihnen hat geweint, die Großen nicht und auch nicht die ganz Kleinen.
„Eigentlich unvorstellbar, nicht?“ sagt sie nachdenklich.