Vom 25. bis 29. September 2017 wurde in der Rogate-Kirche am Wildschwanbrook wieder für Rumänien, für Temeswar und Resita gesammelt. Was da alles zusammenkam. Viele engagierte ehrenamtliche MitarbeiterInnen waren dabei, die gespendeten Dinge in Kartons zu verpacken. Über 500 Weihnachtswichtelpäckchen kamen an, das wird eine Freude für die Kinder in Rumänien sein. Viele haltbare Lebensmittel wurden abgegeben, gut erhaltene Kleidung auch. Vielen Dank an alle Spenderinnen und Spender, natürlich auch für die großzügigen Geldspenden zur Finanzierung des Transportes.
Am Mittwoch, den 4. Oktober, kam morgens um 9 Uhr der LKW in den Wildschwanbrook, der die vielen Kartons und Sachspenden nach Temeswar bringen sollte. Am Anfang waren wenige Leute zum Beladen des großen LKW da. Aber irgendwie ging es dann doch, weitere Helfer kamen und so gegen 14 Uhr fuhr der Wagen endlich Richtung Rumänien los. Der Transport wurde von vier Personen aus der Arbeitsgemeinschaft begleitet – natürlich auf eigene Kosten.
In Rumänien lernt man warten, am Montag, den 9. Oktober, sollte der LKW ausgeladen werden. Es regnete ein wenig, es war kühl und nass. Aber wie es so manchmal ist, die Anti-Korruptionsbehörde hatte den LKW verplombt, und wir mussten auf die Mitarbeiter der Behörde warten, die dann irgendwann gegen 13 Uhr kamen. Wir standen mit einer größeren Gruppe bereits um 9 Uhr am verabredeten Treffpunkt.
Der vorgesehene Abladeplatz, so stellte sich heraus, eignete sich diesmal nicht. Dank Klara, der Sozialarbeiterin des Vereins Speranta, haben wir einen großen Platz gefunden, wo wir dann unter Aufsicht der Beamten abladen durften. Glück hatten wir mit dem Wetter: Gegen Mittag kam auch die Sonne zum Vorschein. Viele fleißige Helfer waren mit dabei, alle haben gut angepackt, so dass wir gegen 16.30 Uhr mit der ganzen Aktion fertig waren. Die Spenden wurden dann mit Kleinbussen und LKW zu den Vereinen Speranta und Kohezio gebracht.
Temeswar ist inzwischen wie jede europäische Großstadt: Viele Autos, viele Geschäfte. Wir fahren zu Kaufland, einem Supermarkt mit gigantischen Ausmaßen. Man staunt über die vielen Menschen in diesem Laden und auch über die Preise. Die sind so wie in Deutschland, aber viele Dinge sind teurer. Wie bezahlen die das, frage ich mich. Während in Deutschland das nominale Einkommen bei 3.380 Euro liegt, ist es in Rumänien bei 527 Euro. Viele Familien bekommen weniger, der Mindestlohn liegt in Rumänien pro Stunde bei 1,65 Euro, in Deutschland bei 8,84 Euro. Wir kaufen an diesem Dienstagvormittag für den Nachmittag ein – Süßigkeiten, Knabberzeug und Kekse, Mineralwasser, Coca-Cola und für die Erwachsenen Wein. Um 16 Uhr soll die Preisverleihung des diesjährigen Wettbewerbs der Schülerpatenkinder im Adam-Müller-Gutenbrunn-Haus stattfinden.
Am Nachmittag ist dann die Verleihung der Preise für den diesjährigen Wettbewerb der Schulpatenkinder. Die Jüngeren hatten das Thema „Mein Lieblingstier“, die Älteren „Mein Geburtsmonat.“ Viele Mädchen und Jungen sind mit ihren Müttern und Vätern gekommen. Werner Kremm, Journalist der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien, hat perfekt übersetzt. Die Spannung war groß. Die Kinder waren glücklich über ihre Preise, die Urkunden, den Einkaufsgutschein und das kleine Geschenk. Im Anschluss gab es einen kleinen Empfang – wie schnell waren die Süßigkeiten und die Knabbereien weg.
Am Mittwochmorgen ging es in die Innenstadt. Überall wird renoviert und restauriert. Temeswar wird 2021 Kulturhauptstadt Europas sein: eine positive Herausforderung für diese liebenswerte Stadt. Um 15 Uhr fahren wir einige Familien besuchen, die von TEMAH und Speranta betreut werden und deren Kinder im Schülerpaten-Programm sind.
In der ersten Familie waren sechs Kinder, sie strahlten als wir in den etwas überhitzten Raum kamen, hatten wir doch Schokolade dabei. Der einzige, der sich vor uns fürchtete, war der kleine Hund: Irgendwie verstand er uns wohl nicht. In der vierten Familie besuchten wir Cosmin, der bei seinen Großeltern lebt. Der Junge, zunächst sehr schüchtern, freute sich riesig über den Besuch. Er geht auf eine Sehbehindertenschule in Temeswar. Und wir alle waren der Meinung, dass dieser Junge einen erhöhten Förderbedarf hat. Mal sehen, was wir machen können. Diese Besuche waren wichtig, taten Besuchten und Besuchenden gut. Wieder einmal wurde uns vor Augen geführt, dass unsere Hilfe dort angebracht ist und wie gut es uns in Hamburg im Vergleich doch geht.
Donnerstagvormittag: Ab in die City Mall. Riesig, dieses Einkaufscentrum. Es gibt alles zu kaufen. Und die Preise? Eben wie bei uns! Mir fallen die besuchten Familien vom Vortag ein. Ob die auch einmal hierher kommen? Kaufen die dann auch irgendwas? Ich glaube, eher nicht. Am Nachmittag besuchten wir zuerst Familie Deac, man hatte schon auf uns gewartet. Das Pflegebett für den kranken Onkel stand schon da, und die Familie war ganz stolz über dieses Bett. Die drei Kinder und der Hofhund fanden uns als Besuch ganz aufregend. Die Kinder leben beim Vater und den Großeltern, der Vater fährt Taxi. Dann ging es weiter zu Familie Mathiesz, Bruder und Schwester, absolut schwierige Verhältnisse. Der Sohn, sehr intelligent und ein wenig schüchtern, erzählte in bestem Englisch von sich und seiner Familie. Er leidet, kann man da etwas tun? Dann ging´s weiter zur Familie Kohl, diese Familie unterstützen wir seit langem. Erschreckend, die Zustände dort. Wir fragen uns, ist unsere Hilfe vergebliche Liebesmüh? Aber wie wäre es ohne Hilfe? Zum Schluss ging es zur Familie Görsci. Vater und Mutter, der Sohn Janos erwarteten uns. Ganz stolz präsentierte uns Janos sein Diplom als Pâtissier. Es wurde gesagt, dass er es ohne Unterstützung nicht geschafft hätte. Die Besuche am Mittwoch und am Donnerstag waren mental sehr anstrengend, beeindruckend und machten schon nachdenklich.
Am Freitagmorgen fuhren wir dann in die Wohngruppe »Haus der Hoffnung«. Dort leben vier Frauen, zusammen mit ihren Betreuerinnen. Man hatte schon auf uns gewartet. Viorica, eine der Bewohnerinnen, bewirtete uns mit Kaffee. Der Kuchen war selbstgebacken und oberlecker. Sie nimmt ihre Aufgabe, eine gute Gastgeberin zu sein, sehr ernst und ist sehr zuvorkommend.
Ich schaue mir mit Liana Fotos der Wohngruppe an, Lia führt durch die Wohnung, in der die geistig behinderten Frauen leben. Es ist dort eine gute, familiäre Stimmung und ein wirkliches Zuhause. Nach viel Gespräch, auch mit Händen und Füssen, verabschieden wir uns.
Am Nachmittag treffen wir uns in der orthodoxen Kathedrale. Wir besuchen das Grab des verstorbenen Metropoliten und Erzbischofs von Temeswar, Dr. Nicolae Corneanu. Er war von Beginn an ein wohlwollender Begleiter unserer Arbeit und Unterstützer von Ökumene und Diakonie. Es war schon beeindruckend, und viele Erinnerungen gingen mir durch den Kopf. Maica Nicoleta, eine orthodoxe Nonne, führte uns dann durch das sehr interessante Ikonenmuseum der Metropolie.
Am Samstag fuhren wir nach Resita zum Banater Kirchentag anlässlich des 500. Reformationsjubiläums. Zu Beginn fand ein Festgottesdienst in der übervollen evangelischen Kirche statt. Viele vertraute Gesichter. Die anwesenden Geistlichen aus Rumänien, Slowenien, Österreich und Deutschland, allen voran der Bischof der rumänischen evangelischen Kirche, Reinhardt Guib, und der Generalvikar der katholischen Kirche aus Temeswar, Monsignore Johann Dirschl, zogen mit uns ein. Der Hugo-Wolf-Chor aus Slowenien beeindruckte mit seinen musikalischen Beiträgen. Bischof Guib hielt eine bemerkenswerte Predigt zur Reformation und betonte dabei die Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen. Nach dem Gottesdienst traf man sich im Kirchgarten. Dort wurde zum Jubiläum einer von zwölf Apfelbäumen gepflanzt. Gemeinsam halfen wir dem Bischof beim Pflanzen des Baumes. Möge er Früchte tragen. Bei Blasmusik gab es einen Imbiss und Zeit für Gespräche. Aus dem Banat waren Trachtengruppen anwesend. Nach einiger Zeit gab es einen Umzug zum Mahnmal für die nach Russland und in die Baragan-Steppe deportierten Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war schon beeindruckend, wie sich dieser Zug durch Resita bewegte. Die Leute blieben stehen und guckten verwundert zu. Nun, so einen Aufmarsch sieht man ja auch nicht alle Tage! Die Deportation der Banater Schwaben ist ein leidvolles Stück Nachkriegsgeschichte. In fast jeder Familie mit deutschen Wurzeln hat es Verschleppung und Tod gegeben. Am Mahnmal wurde der Deportierten gedacht, die Hymne der Deportierten wurde gespielt und Kränze niedergelegt. Bischof Guib hat mit allen das Vaterunser gebetet, jeder in seiner Muttersprache. »Mit den Erinnerungen an die Vergangenheit gestalten wir unsere Gegenwart und planen unsere Zukunft. Nie wieder Krieg, für ein freies und menschengerechtes Europa.« Gegen Abend erreichten wir dann Temeswar.
Am Sonntag gab es dann noch ein intensives und gutes Gespräch mit Icuca Sipos und Piri Stanics über die Zukunft unserer Zusammenarbeit. Gespannt schauen wir in die Zukunft und »erwarten getrost was kommen mag!« Als krönenden Abschluss besuchten wir die Oper Turandot. Es war eine wirklich gute Inszenierung mit hervorragenden SängerInnen.
Servus Temeswar – până la următoarea vizită
Servus Temeswar – bis zum nächsten Besuch
Manfred Ehm